Frankreich durchläuft möglicherweise eine entscheidende Phase seiner Geschichte. Während der unruhige finanzielle Kontext das Land in politische Unsicherheit stürzt, stellt der rasante Aufstieg der künstlichen Intelligenz sowohl eine zusätzliche Herausforderung als auch eine plötzliche Chance dar. Richtig genutzt, könnte er dazu beitragen, unsere Wirtschaft neu zu gestalten, unsere Souveränität zu stärken und unseren Mitbürgern neue und vielversprechende Zukunftsperspektiven zu bieten. Um dies zu erreichen, ist es unerlässlich, politische Vision mit technologischem Know-how zu verbinden. In einer Zeit, in der wir die beste Richtung für die nächsten fünf Jahre bestimmen müssen, schien es mir notwendig, eine Bilanz unserer Maßnahmen im Rahmen der nationalen Strategie für künstliche Intelligenz (SNIA) zu ziehen.
Die Phase 1 der SNIA (1,85 Mrd. €, 2018-2022) hatte das Ziel, Forschungsakteure rund um das sogenannte „Ökosystem“ zu mobilisieren, indem Kräfte gebündelt, Doppelarbeit vermieden und thematisch relevante Forschungszentren mit koordinierter Governance strukturiert wurden: 4 3IA-Institute, 180 Forschungskurse, über 300 Doktorandenprogramme, ein großer Supercomputer (Jean-Zay).
Die zweite Phase dieser Strategie, ausgestattet mit 1 Mrd. € aus den Frankreich 2030-Fonds, wurde Mitte 2022 gestartet, deren Koordination ich seit Januar 2023 übernehme. Ihr Leitfaden ist die „Verbreitung der KI in der Wirtschaft“. KI kann in die meisten unserer Produktionsprozesse integriert werden und so eine transformative Wirkung auf das gesamte nationale Wirtschaftssystem ausüben. Sie beschränkt sich nicht nur auf eine einfache „Deep Tech“- und sektorspezifische Herausforderung, sondern stellt einen globalen Hebel für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in Frankreich dar.
Der Großteil der Arbeiten der Phase 2 wurde ab 2023 im Rahmen einer 2021 festgelegten Planung aufgenommen. Die damals getroffenen strategischen Entscheidungen betrafen Embedded AI, frugale KI und vertrauenswürdige KI, ergänzt durch eine massive Entwicklung des Ausbildungsangebots in KI.
Anfang 2023, mitten im „ChatGPT-Buzz“, hatten wir in Frankreich nur einen einzigen Akteur, der auf generative Grundlagenmodelle spezialisiert war: LightOn. Unsere technologische Abhängigkeit war nahezu vollständig. Die Priorität des ersten Halbjahres bestand darin, eine Budgetneumodellierung der SNIA durchzuführen, um einen neuen Schwerpunkt auf generative KI zu setzen. Diese Maßnahmen wurden unter Zeitdruck durchgeführt, um Frankreich zumindest in der technologischen Konkurrenz und in Bezug auf seine strategische Autonomie zu halten. Erfolgreich, ermöglichten sie uns, uns 2024 in der Spitzengruppe im Rennen um generative KI zu positionieren:

  • Zwischen Anfang 2023 und Ende 2024 sind wir von einem auf mehr als ein Dutzend der weltweit besten Anbieter generativer KI angewachsen: Mistral, H, Kyutai, Photoroom, Poolside, Dust, Gladia usw.
  • Frankreich ist zur ersten europäischen Nation in Bezug auf die Attraktivität von Investitionen in KI geworden, was in der digitalen Sphäre bisher nicht geschehen ist. Die Kapitalbeschaffungen haben sich ebenfalls verdoppelt und erreichen 3,2 Mrd. € im Jahr 2023.
  • Diese europäische Führungsposition in generativer KI zieht die besten internationalen KI-Akteure an, die sich entscheiden, sich in Frankreich niederzulassen. Im Jahr 2024 schließen sich OpenAI, Google und Tata Sons Cisco, Meta FAIR, Fujitsu, HPE, IBM, Intel, Microsoft, NaverLabs, Samsung, SAP, Uber an.
  • Diese quantitative Bilanz wird von einer starken Abdeckung des technischen Bereichs begleitet, mit beispielsweise Mistral für die Textgenerierung, Photoroom für Bilder, Kyutai für die Stimme, Aive für Videos, H für Text-to-Action und den Einsatz von Agenten, Dust und LightOn für die Anpassung der Modelle an die Bedürfnisse, Artefact und Capgemini für ihre Verbreitung in unseren Unternehmen, Giskard, Kili technology und Prism Eval für ihre Bewertung, Pruna AI und ZML für ihre Optimierung usw. Viele Anwendungsbereiche sind ebenfalls abgedeckt, wie Aqemia, Bioptimus, Nabla oder ReciTAL im Gesundheitswesen, Comand.ai, Chapsvision oder Thales für Verteidigung und Sicherheit, Valeo für Mobilität und das Kollektiv OpenLLM France für Bildung. Generative KI für Ingenieurwesen (automatische Codegenerierung mit Poolside und Software Heritage, CAD-Teilegenerierung mit Dassault Systèmes usw.) oder Wissenschaften (Protein- und Molekülgeneration durch die oben genannten Unternehmen, Materialgenerierung mit Entalpic usw.) ist ebenfalls ein Schlüsselgebiet, auf dem sich Frankreich etablieren konnte.
Dieses bemerkenswerte Positionieren im Hinblick auf den Rest Europas und absolut in Bezug auf die Abdeckung der Wertschöpfungskette zeigt sich auch in den technisch als prioritär erachteten Bereichen:
  • In Bezug auf Embedded AI sind die französischen Hardware-Akteure europaweit führend (STMicroelectronics, Sipearl, Kalray, Vsora, Flex.ai, Dolphins Designs, Hawai.tech, Menta, Prophesee, Greenwaves, Upmem, das Kollektiv DeepGreen usw.).
  • In Bezug auf frugale KI sind zwölf Gebietskörperschaften an der Entwicklung und dem Einsatz energie- und daten-effizienter KI im Dienste ihres ökologischen Wandels beteiligt.
  • In Bezug auf vertrauenswürdige KI übernimmt Frankreich heute eine Führungsrolle auf europäischer Ebene (Gewinner von jedem der fünf Ausschreibungen für Testing and Experimentation Facilities for AI, Koordinator des einzigen Projekts zur Vorabgestaltung der Union Testing Facilities für die Konformitätsbewertung zum AI Act, einziges EU-Mitgliedsland, das Mitglied des AI Safety Network ist und somit über ein AI Safety Institute verfügt). Darüber hinaus wird die integrierte Partnerschaft zwischen der OECD und der Globalen Partnerschaft für KI, die von Frankreich 2023 initiiert wurde, de facto die wichtigste internationale Governance-Instanz für KI.
Der Einsatz betraf auch die Vervielfachung unserer Forschungs- und Ausbildungskapazitäten in KI, unterstützt durch Open-Source-Softwarebibliotheken zu KI, die große Kollektive mobilisieren (Scikit-learn initiiert von Inria und heute weltweit am meisten genutzt, DeepGreen usw.), sowie den Zugang zu allen entscheidenden Ressourcen für die Entwicklung von KI auf dem neuesten Stand der Technik, insbesondere:
  • Supercomputing: Das Training generativer KI stützt sich heute auf bedeutende Recheninfrastrukturen (Supercomputer, Cloud), die größtenteils im Besitz der amerikanischen und chinesischen Big Tech sind. Deshalb wurde beschlossen, die Kapazität von Jean-Zay auszubauen, das Support-Ingenieurteam, dessen Qualität im gesamten Ökosystem anerkannt ist, zu verstärken und einen Exascale-Klasse-Supercomputer am TGCC (CEA) im Rahmen der europäischen Initiative EuroHPC zu installieren. Darüber hinaus haben wir zur Sicherstellung der Präsenz optimierter GPU für KI auf nationalem Territorium private nationale (Scaleway, OVHCloud, Outscale, Eclairion) und internationale Investoren (7 Mrd. € angekündigt bei Choose France 2024) rekrutiert. Atos/Eviden bleibt zudem der wichtigste europäische Integrator öffentlicher Supercomputer und sichert sich so einen nachhaltigen Markt.
  • Daten: Frankreich übernimmt die europäische Führungsrolle bei der Datenzusammenführung für KI, einschließlich des Schutzes europäischer Sprachen und Kulturen, durch die europäische Struktur ALT-EDIC, die 19 EU-Mitgliedstaaten vereint. Auf nationaler Ebene unterstützt die SNIA auch die Vorbereitung großer Testdatenbanken aus unseren nationalen Archiven (INA, BnF, Fondation Software Heritage usw.) für das Training von KI-Modellen, unter Einhaltung des europäischen Rechts zu persönlichen Daten und geistigem Eigentum. Innerhalb der Frankophonie haben wir eine Initiative gestartet, um beim Gipfel von Villers-Cotterêts im Oktober 2024 große Datenbanken in französischer Sprache zu schaffen.
Insgesamt wird Frankreich heute als das erste Zentrum für generative KI in Europa anerkannt und ist im Global AI Index von Platz dreizehn im Jahr 2023 auf Platz fünf im Jahr 2024 aufgestiegen.
Wir haben dieses Ergebnis durch die Kombination der beiden Ansätze erreicht, die üblicherweise als „bottom-up“ und „top-down“ bezeichnet werden.
Einerseits durch programmatische Beständigkeit, um über einen langen Zeitraum gezielte Entwicklungen zu nutzen, die es uns ermöglichen, bei den kommerziell und insgesamt wirtschaftlich vorteilhaftesten Anwendungen als Erster zu landen. Aber auch, um eine Kompetenz auf höchstem Niveau über das gesamte Spektrum zu halten und somit volle Handlungsfreiheit zu bewahren.
Andererseits durch flexibles Management, um alle Möglichkeiten eines erstaunlich produktiven Sektors bestmöglich zu nutzen und so im zweiten Schritt, aber kostengünstiger, zu ergreifen.
Im aktuellen politischen Geist bevorzugen wir die Reaktivität, Kreativität und Vorschlagskraft des privaten Unternehmens, ohne jedoch dem geringsten „laissez-faire“ nachzugeben. Unser offizielles Governance-System ist straff und speist sich aus der Reflexion und dem Urteilsvermögen mehrerer Lenkungsausschüsse, in denen unsere besten Spezialisten bis zur höchsten Staatsebene mitwirken.